Das wissenschaftliche Weltbild und die Mechanik des Marktes

Thomas Köller

Allgemeine Grundlagen der Politischen Theorie 1 | Das wissenschaftliche Weltbild und die Mechanik des Marktes

Gebunden
461 Seiten
sofort lieferbar
29,80 € [D] / 30,70 € [A] / SFr 40,90 [CH]

ISBN 978-3-945162-00-2

Bestellen

Die »unsichtbare Hand des Marktes« ist das zentrale Versprechen der weltweiten neoliberalen Revolution, welche Ende der 1970er Jahre begann und nach wie vor andauert. Im Glauben daran, dass dem Allgemeinwohl am besten gedient sei, wenn sich das kurzfristige Eigeninteresse der Einzelnen möglichst unbeschränkt entfalten könne, versprechen sich nicht nur Politikerinnen und Politiker auf der ganzen Welt seit Jahrzehnten zunehmend weniger von kooperativen, demokratischen Problemlösungen. Getragen von einem gemeinsamen Verständnis, das sie mit den wirtschaftlichen und juristischen Eliten teilen, deregulieren sie Finanzmärkte, privatisieren sie öffentliche Dienstleistungen und errichten sie ein globales Handelsregime, das nicht nur einen möglichst grenzenlosen, weltweiten Markt schafft, sondern darüber hinaus dafür sorgt, dass diesem Weltmarkt keinerlei demokratische Regeln zum Schutz des Allgemeinwohls oder auch nur der grundlegenden Menschenrechte auferlegt werden.

Doch ist die »unsichtbare Hand des Marktes« wirklich mehr als ein Glaube? Ist sie wissenschaftlich wirklich untermauert? Funktioniert sie wirklich so verlässlich, dass ihr Demokratie und Menschenrechte ruhigen Gewissens untergeordnet werden können und vielleicht gerade dann umso unfehlbarerer gewährleistet sind?

Das vorliegende Buch beginnt seine eingehende Untersuchung dieser Frage mit dem Hinweis, dass die Idee einer »unsichtbaren Hand des Marktes« eng an die inzwischen widerlegte, traditionelle Vorstellung vom wissenschaftlichen Weltbild angelehnt ist (und damit freilich auch der bis heute allgemein vorherrschenden Vorstellung von Wissenschaftlichkeit entspricht): Bis vor einigen Jahrzehnten unterstellte man, die Wissenschaft werde irgendwann die Bewegung noch des kleinsten Partikels berechnen können, den gesamten Lauf aller Dinge. Dadurch erschien die Gesamtdynamik der Welt, rein mathematisch gesehen, als bloße Summe der völlig unabhängig voneinander ihren eigenen Gesetzen folgenden Einzelprozesse. Anders gesagt: Harmonie des Ganzen und Egozentrismus der Teile erschienen als logische Kehrseite des jeweils anderen. Oder umgekehrt: Der Egozentrismus der Einzelnen schien nicht das Chaos des Ganzen zu bedeuten, sondern im Gegenteil dessen größtmögliche Harmonie, einen optimalen Zustand. Genau dies ist auch die Utopie des Wirtschaftsliberalismus, das Versprechen der Idee einer »unsichtbare Hand des Marktes«.

Wie in diesem Buch gründlich erläutert wird, erwies sich die gemachte Voraussetzung von der vollständigen Berechenbarkeit der physikalischen Bewegungsgleichungen jedoch als falsch und wurde dadurch auch das wissenschaftliche Weltbild, wie man es zuvor verstanden hatte, hinfällig: Im Gefolge der Entdeckung sogenannter nicht-linearer Dynamiken ab etwa 1960 erkannte man nach und nach, dass sich die Bewegungsgleichungen aus rein mathematischen Gründen niemals mit absoluter Genauigkeit berechnen lassen würden und sich jede Ordnung deshalb erst konstituieren müsse, nämlich durch die gemeinsame Koordinierung dessen, was dadurch ihre Teile werden. Damit gilt auch für die Idee von der »unsichtbaren Hand des Marktes«, dass diese nur in dem Maß als wissenschaftlich gelten kann, in dem die im Begriff der »unsichtbaren Hand« anklingenden (und in der öffentlichen Debatte auch gern als Argument bemühten) Selbstregulierungsmechanismen tatsächlich dingfest gemacht werden können.

Doch wie die anschließende, eingehende Prüfung zeigt, sind alle bisher in dieser Richtung unternommenen Versuche gescheitert und erbringt auch die Suche nach möglicherweise nur noch nicht erprobten Wegen keine wirklichen Anhaltspunkte, sondern wachsen dadurch im Gegenteil die grundsätzlichen Zweifel. Beim gegenwärtigen Stand der Wissenschaft bedeutet die neoliberale Revolution somit nichts anderes als die Unterordnung von Demokratie und Menschenrechten unter das »Recht des Stärkeren«, also die Errichtung einer auf zumindest struktureller, und allzu oft auch realer Gewalt beruhenden und insofern autoritären politischen Ordnung.

Zudem ist es – auch darauf geht das vorliegende Buch ein – gerade das Kennzeichen des seit Beginn der neoliberalen Revolution tonangebenden Theoriestrangs, dass er die Suche nach den Selbstregulierungsmechanismen sogar bewusst aufgibt und allein darauf setzt, die »Rationalität« des homo oeconomicus so grenzenlos vorausschauend und zugleich so sehr auf die eigene Perspektive beschränkt zu konstruieren, dass die vom alten (irrigen) wissenschaftlichen Weltbild beschriebenen Verhältnisse – Egozentrismus und Harmonie als zwei Seiten einer unveränderlichen Medaille – für das Marktmodell »gerettet«, da vermeintlich logisch ableitbar werden. Durch diesen Schachzug, der im Übrigen seinerseits nicht überzeugend ist, setzt sich die ökonomische Theorie dem dringenden Verdacht aus, eher Scholastik als Wissenschaft zu sein.

Das vorliegende Buch bekräftigt diesen Verdacht schließlich dadurch, dass es skizziert, was in den Bänden 2 und 3 weiter ausgearbeitet wird, nämlich welche Konsequenzen sich aus dem früheren Irrtum in Bezug auf die unbegrenzte Berechenbarkeit der Bewegungsgleichungen für das wissenschaftliche Bild des Lebens, des Menschen und der Gesellschaft ergeben.

 

Inhalt

  1. Einführung

  2. Das wissenschaftliche Weltbild I: Von der Konstituierung der Physik zur Selbstkonstituierung des Lebens

  3. Die unsichtbare Hand des Marktes als seit über 200 Jahren auf ihre wissenschaftliche Präzisierung wartende Utopie

  4. Der Neoliberalismus als neue Scholastik

  5. Das wissenschaftliche Weltbild II: Von der Selbstkonstituierung des Lebens zur zwischenmenschlichen Konstituierung der sozialen Welt

 

Über den Autor

Dr. Thomas Köller studierte Psychologie, Sozialwissenschaften und Mathematik in Bochum, Duisburg, Catania (Italien) und Hagen. Abschluss als Diplom-Sozialwissenschaftler, Studienrichtung Politikwissenschaft, in Duisburg. Erarbeitung der Allgemeinen Grundlagen der Politischen Theorie unter anderem am Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Bielefeld, schließlich Promotion zum Doktor der Staatswissenschaften, erneut in Duisburg. Frühere Veröffentlichungen zur sog. regionalisierten Strukturpolitik.


Weitere Informationen